Exkurs: Meine Erfahrung mit der Ziegenzahnheilkunde
Exkurs: Meine Erfahrung mit der Ziegenzahnheilkunde
Manchmal führt einen die Routine in neue Welten – so passierte es mir bei einem Besuch zur jährlichen Pferdezahnbehandlung. Es stellte sich heraus, dass nicht die Pferde die Hauptpatienten waren, sondern ihre beiden Mitbewohner: zwei Burenziegen namens David und Goliath. Die beiden waren 12 Jahre alt. Die Besitzerin besaß sie seit der Geburt und hatte bereits bemerkt, dass sie zunehmend abbauten und trotz mehrmaliger parasitärer Vorbehandlungen keine deutliche Verbesserung zeigten. Erst beim Abtasten bemerkte ich die starke Abmagerung der beiden. Bei der unsedierten Voruntersuchung waren riesige Zahnhaken an den letzten Oberkieferbackenzähnen und zum Teil messerscharfe und erhabene Zahnspitzen zu erkennen.
Anästhesie – aber wie?
Als Tierärztin, die sich primär auf Pferdezähne spezialisiert hat, war dies Neuland für mich. Daher besprach ich die Anästhesie im Vorfeld mit erfahrenen Kolleg:innen aus der kleinen Wiederkäuer-Medizin. Die Empfehlung lautete, Ketamin 100 mg/ml (max. 10 mg/kg KGW) als Monopräparat entweder i.v. oder i.m. zu verwenden. Ich fragte zweimal nach, da ich bislang Ketamin noch nie einzeln zur Anästhesieeinleitung verabreicht hatte. Aber nun, Ziegen sind eben speziell …
Gesagt, getan. Ich injizierte knapp 3 ml Ketamin pro Ziege, in die Oberschenkelmuskulatur, die jeweils etwa 45 kg wogen – etwas weniger als die empfohlene Dosierung von 1 ml/10 kg Ziege. David und Goliath waren schließlich nicht in der besten Verfassung. Und es hat vollkommen ausgereicht. Die Ziegen waren sehr schnell in einem optimalen Zustand für die geplante Zahnbehandlung. Wir positionierten sie in Brust-Bauchlage über einem Heuballen – ich wollte unter keinen Umständen eine Pansenaufgasung provozieren.
Die Herausforderung der Zahnbehandlung
Während der Behandlung wurde schnell klar, dass Ziegenzahnheilkunde ihre eigenen Tücken hat. Das verstärkte Speicheln erschwerte die Behandlung ein wenig, und wir mussten darauf achten, dass der Speichel abfließen konnte, um ein Verschlucken zu vermeiden. Ich verwendete mein Ponymaulgatter mit zwei Gaumenplatten, das hervorragend funktionierte. Mit meinen feinen Instrumenten gelang es mir, auch die hintersten Backenzähne problemlos zu erreichen.
Ich konnte die riesigen Zahnhaken sorgfältig entfernen – diese hatten nicht nur starke Schleimhautverletzungen verursacht, sondern auch den Kieferschluss unmöglich gemacht. Zusätzlich zog ich bei Goliath einen lockeren, stinkenden Backenzahn, der offensichtlich ein weiteres Problem darstellte. Im Gegensatz zu den Pferdezahnbehandlungen beschränkte ich mich bei den Ziegen auf das Entfernen der großen Haken und extremen Zahnspitzen – weniger ist sicherlich auch manchmal mehr.
Nach der Behandlung
Nach der Behandlung erwachten David und Goliath schnell und ohne Komplikationen. Die Besitzerin berichtete später zufrieden, dass beide Ziegen viel besser fraßen, an Gewicht zulegten und insgesamt deutlich vitaler wirkten. Ein wichtiger Faktor war sicherlich auch das Zufüttern von Heucobs.
Vielleicht noch ein Tipp, der sich von Pferdezahnbehandlungen unterscheidet: Ich empfahl der Besitzerin, den Ziegen etwa 12 Stunden vor der Behandlung das Futter und Wasser zu entziehen, um das Risiko von Panseninhalt-Regurgitation und nachfolgender Aspiration zu minimieren.
Bedeutung der Ziegenzahnheilkunde
Mit zunehmendem Alter treten bei kleinen Wiederkäuern häufig Zahnprobleme auf, die sicherlich oft nicht sofort erkannt werden. Probleme wie Zahnhaken, Treppengebisse oder Zahnspitzen können die Futteraufnahme erheblich beeinträchtigen und zu Gewichtsverlust führen. Ziegenzähne schieben schließlich auch ein Leben lang nach. Eine regelmäßige Kontrolle und rechtzeitige Behandlung sind daher bei dieser Tierart ebenfalls essenziell, um die Lebensqualität zu erhalten.
Dieser Exkurs in die Ziegenzahnheilkunde hat mir nicht nur wertvolle Erfahrungen gebracht, sondern auch verdeutlicht, wie vielseitig unser Beruf als Tierärzt:innen ist. Vielleicht inspiriert mein Bericht den einen oder anderen, auch einmal über den Tellerrand der eigenen Spezialisierung hinauszublicken und ein Experiment zu wagen.
Herzlichst
Gaby Hurink